Dunkelheit umgab mich, trotzdem fühlte ich
mich sicher. Ich war alleine, saß auf dieser Brücke und lauschte dem Rauschen
des Wassers tief unter mir. Meine Beine hingen nach unten, ich hatte keine
Angst. Zumindest nicht vor der Dunkelheit oder der Höhe.
Man konnte die Hand vor Augen nicht sehen, was
mich irgendwie beruhigte. So konnte man mir den Anblick schlimmer Dinge
ersparen.
Plötzlich hörte ich sie meinen Namen rufen.
Sie suchten nach mir. Warum? Warum konnten sie mich nicht einfach in Ruhe
lassen? Sie würden mich zurückbringen, zurück in die Anstalt. Nein, ich bin
nicht krank, ich bin nicht gestört. Was sollte ich nur tun? Was konnte ich tun?
Ich wollte doch nur ein normales Leben führen. War das denn zu viel verlangt?
Mein Vater hatte mein Leben verändert. Nicht
zum Positiven. Ich habe ihn geliebt, ihm vertraut. Meine Familie war der
einzige Halt in meinem Leben, nachdem meine beste Freundin bei einem Autounfall
ums Leben gekommen ist. Ein junges Mädchen, das einfach so aus ihrem Umfeld
gerissen wurde. Ihre Eltern sind – genauso wie sie – noch an der Unfallstelle
gestorben. Jegliche Hilfe kam zu spät.
Für mich brach eine Welt zusammen, als ich die
Botschaft übermittelt bekam. Ich konnte meine beste Freundin diesen Tag nicht
erreichen, hatte mir Sorgen gemacht, die – wie sich im Nachhinein herausstellte
– sehr berechtigt waren. Am nächsten Tag in der Schule verkündete unsere
Klassenlehrerin, dass Sarah nicht mehr unter uns weilte. Im ersten Moment hatte
ich es nicht realisiert, was sie da sagte. Es klang so unwirklich. Ich dachte,
sie würde jeden Augenblick durch die Tür hereinspazieren und uns auslachen,
weil wir unserer Lehrerin geglaubt hatten. Aber so war es nicht.
Jan und ich verbrachten nach dem Unglück viel
Zeit miteinander. Er wollte mir helfen, mich ablenken, was ihm anfangs gelang.
Wer Jan war? Ein guter Freund für Sarah, ein Bekannter für mich. Ich hatte
zuvor nicht sonderlich viel mit ihm zu tun. Nach mehreren sinnlosen
Diskussionen rund um positive Dinge, viel Gelächter und tiefsinnigen Gesprächen
verliebte ich mich in ihn. Er meinte irgendwann, er würde dasselbe für mich
empfinden, doch das war eine Lüge. Eines Tages rief Jan mich an, besser gesagt,
sein Handy hatte sich selbständig gemacht. Er hatte es nicht mitbekommen, ich
lauschte einen Moment und bemerkte, dass er sich mit seinen Kollegen
unterhielt. Über mich. Sie lachten, feierten ihn, sagten, dass nur noch ein
kleiner Schritt fehlen würde, dann hätte er die Wette gewonnen. Wette. Ich war
für ihn also nur eine Wette?
Er war der Grund, warum ich noch leben wollte,
warum ich mich auf dieser Welt halten konnte. Und jetzt? Dieses Leben war nicht
fair! Aber ich konnte nicht aufgeben, nicht verschwinden. Meine Familie
brauchte mich, ich brauchte sie. Sie würden für mich da sein, hoffte ich
zumindest. Also ging ich ins Wohnzimmer und was ich dort sah, brandmarkte mein
Leben. Mein Vater stand dort mit einem Messer in der Hand. Es lag überall Blut.
Blut. So viel Blut. Meine Mutter auf dem Boden.
Mein Herz blieb für einen Augenblick stehen,
meine Beine wollten sich nicht bewegen und da erblickte mich mein Vater. Er
drehte sich um, kam auf mich zu. Wollte er mir etwas antun? So wie meiner
Mutter? Plötzlich konnte ich mich aus der Starre befreien, lief die Treppe
hinunter und verließ das Haus. Hinter mir hörte ich Schritte, die Schritte
meines Vaters. Er war mir dicht auf den Fersen, doch ich blieb nicht stehen,
drehte mich nicht um. Ich lief, so lange bis ich nicht mehr konnte, bis mich
meine Beine nicht mehr tragen wollten. Mein Handy, meine Geltasche, alles hatte
ich zuhause liegen lassen, also klopfte ich an einem Haus und eine freundliche
Frau öffnete die Tür. Sie ließ mich ins Haus, ich konnte die Polizei anrufen
und diese nahmen meinen Vater fest. Und was war mit mir? Mich steckten sie in
eine Anstalt.
Ich saß immer noch auf dieser Brücke in der
Dunkelheit, hörte sie nach mir rufen. Noch waren sie entfernt von mir. Wie
weit, wusste ich nicht. Weit genug. Ich hatte keine Lust mehr, keine Kraft
mehr. Alles, was ich tue, erscheint so sinnlos. Niemand war mehr auf dieser Welt,
dem ich vertrauen konnte.
„Mama, Sarah, ich komme zu euch“, flüsterte
ich und sprang.
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