18. April 2012

Geschichte: Und ich dachte #2


Immer wieder flüsterte er mir ins Ohr, dass er mich liebe, dass er mich nie verlieren möchte, dass ich sein Ein und Alles sei, dass er immer für mich da sein würde und noch viele andere schöne Dinge.
„Bella, was ist los? Dich bedrückt doch irgendetwas.“ Meine Mutter merkte immer, wenn mit mir etwas nicht stimmte. Ich antwortete ihr, dass alles in Ordnung wäre, ich hätte nur Kopfschmerzen. Bedrückt sah ich auf den Boden, einerseits wegen Tim, aber andererseits wegen meiner Mutter. Ich mochte es noch nie, sie anzulügen. „Nun gut. Wenn du nicht mit mir reden möchtest“, sie seufzte auf, „Ich muss jetzt sowieso weg. Einkaufen.“ Mit diesen letzten Worten war sie verschwunden. Sie wirkte leicht eingeschnappt, was ich nicht wollte. Meine Mutter und ich hatten eigentlich ein sehr gutes Verhältnis zueinander. Dennoch konnte ich mir in diesem Moment keine Gedanken um die Spinnereien meiner Mutter machen. Manchmal hatte sie Phasen, in denen sie sehr schnell überreagierte und genau dies war in meinen Augen gerade der Fall.
Langsamen Schrittes bewegte ich mich also in Richtung Badezimmer und richtete ich mich her. Ein bisschen Make-Up, Eyeliner, Wimperntusche und fertig. Danach kämmte ich meine Haare durch, verpasste ihnen eine angemessene Dosis Haarspray, damit meine widerspenstigen Zotteln auch hielten und ging zurück in mein Zimmer, um meine Handtasche zu holen. Ein kurzer Kontrollblick, ob auch wirklich alles, was wichtig war, immer noch in der hellblauen, großen Handtasche war: „Geldbeutel – check. iPod – check. Kopfhörer – check. Labello – check. Haustürschlüssel – check. Kippen – check. Feuerzeug – check.“ Kurzerhand warf ich mein Handy noch hinein, zog den Reißverschluss zu und ging zu meinem Kleiderschrank. Die Auswahl meiner Trainingsklamotten hielt sich sehr in Grenzen, deshalb hatte ich nie die Qual der Wahl und war dementsprechend schnell fertig. Ich zog ein einfaches schwarzes Tank-Top, eine kurze schwarz/pinke Hot Pants und meine schwarzen Schuhe an, warf mir meine Lederjacke über und verließ das Haus.
Ich spazierte geradewegs zur Bushaltestelle, setzte mich auf die kleine Bank, nahm meine Kopfhörer heraus und hörte ein wenig Musik. Musik war meine große Liebe, ich könnte nicht ohne leben. Es gibt so viele Songs, die genau das erzählen, was in meinem Kopf vor sich geht, was ich nicht wage, auszusprechen.
Am Himmel waren einige Wolken, die gerade die Sonne verdeckten. So war es herrlich angenehm und ich schloss für einen kurzen Moment meine Augen, genoss die Wärme und die Stille. Nur die Musik, die durch meine Kopfhörer dröhnte, gelang in meine kleine Welt, in der ich mich gerade befand. Irgendwann öffnete ich meine Augen wieder, sah auf mein Handy und stellte fest, dass der Bus in wenigen Minuten hier auftauchen müsste.
Ich lehnte mich zurück, blickte nach oben in den Himmel und dachte an Sergio, meinen Ex-Freund. Obwohl … war er wirklich mein Ex? Ich hoffte inständig, dass er die SMS verstand, die ich ihm geschickt hatte. Eigentlich sollte ich mich doch klar genug ausgedrückt haben, doch manchmal konnte man sich bei Sergio nicht wirklich sicher sein.
Der Bus kam endlich an, riss mich aus meinen Gedanken und ich stieg ein. Der Busfahrer kannte mich bereits, da ich öfters um diese Zeit mit diesem Bus fuhr und so ließ er mich einfach nach hinten gehen ohne meine Karte richtig zu begutachten. Manchmal hatten wir einen Busfahrer, der jeden einzelnen Buchstaben, jede einzelne Zahl zu hypnotisieren versuchte. So schien es mir jedenfalls immer wieder. Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ er dich dann schon durch, es dauerte nur seine Zeit. Er war auch nicht mehr der Jüngste.
Der Bus war fast leer wie meistens, daher ging ich nach hinten und setzte mich auf einen Platz in der Nähe der Tür. Ich würde nur drei Stationen im Bus bleiben, dann musste ich zu Fuß noch etwa zehn Minuten laufen, was kein Problem war bei einem so schönen Wetter.
An der ersten Station stieg wie immer niemand aus. Auf den Straßen waren einige Leute, Eltern mit ihren Kindern, Jugendliche, einige ältere Ehepaare. Sowas wünschte ich mir auch. Eine Familie gründen, vielleicht zwei Kinder haben, zusammen alt werden und an sonnigen Tagen wie diesem Hand in Hand durch die Straßen schlendern.
Plötzlich klingelte mein Handy. Wer konnte das nur sein? Sandra wusste doch, dass ich gleich zum Training musste und meine Mutter ebenso.
Ich sah auf das Display – Sergio. Oh nein! Was wollte er denn? Ich hatte absolut keine Nerven für ihn übrig und wollte mich auf das heutige Training konzentrieren. Die letzte Zeit war ich immer so abwesend gewesen, dass es sogar meiner Trainerin, Frau Müller, aufgefallen war. Letztens hatte sie mich gefragt, was mit mir los sei. Was hätte ich ihr schon sagen sollen? Die Wahrheit würde sie doch nicht verstehen. Frau Müller ist eine ältere Frau, Profi-Volleyball-Spielerin, verwitwet. Ihr Mann war vor einigen Jahren bei einem Auto-Unfall ums Leben gekommen. Seitdem trauerte sie, hatte sich nicht mehr verliebt. Manche Mädchen im Team behaupteten, dass er Frau Müllers erster Freund, so wie ihre erste große Liebe gewesen sei. „Muss wunderschön sein, wenn man auf Anhieb solch ein Glück hat“, dachte ich, drückte auf den roten Knopf des Handys, schaltete es aus und warf es in die Tasche. Ich wollte nichts hören, nichts sehen und erst recht nichts mehr fühlen. Warum musste die Liebe nur so kompliziert sein?
An der zweiten Bushaltestelle stieg ein älterer Mann aus. Ich kannte ihn nicht, aber er grüßte mich jedes Mal, wenn er mich sah. Nett war er, dachte ich, aber manchmal machte es mir dennoch ein wenig Angst, wenn man bedachte, dass dieser Mann ein Fremder war und mich dennoch jedes Mal anlächelte und grüßte. So freundlich war ich noch nie gewesen, dass ich wildfremde Menschen gegrüßt hätte. Ich musste mich schon jeden Tag in aller Herrgotts Früh in der Schule überwinden, um den an mir vorbeilaufenden Professoren einen guten Morgen zu wünschen. Sie beschweren sich andauernd, dass wir doch so unhöflich seien und nicht einmal ein „Guten Morgen“ herausbringen würden, dabei war das gar nicht so. Meistens, wenn ich das tat, starrten sie mich nur blöd an. Mehr nicht. Ein Blick. Und nun? Ach, aber man sollte nicht vergessen, dass Professoren immer Recht haben und allwissend sind! Sie sind die besten Menschen der Welt und ja, sie dürfen auch manchmal etwas vergessen, aber wir Schüler doch nicht.

[Fortsetzung folgt]
©

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